Das Erlebnis Alpenflora
Eines der schönsten
Erlebnisse bei Bergwanderungen in den Alpen ist das Erleben der Farben-
und Formenvielfalt der alpinen Pflanzenwelt. Die Blüten erscheinen
viel größer und leuchtkräftiger als die Blüten der
uns bekannten Blütenpflanzen aus dem Flachland. Wie lässt sich dieses Phänomen
erklären?
Sobald die Schneeschmelze
im Frühjahr einsetzt, beginnt bereits die Blüte der ersten Pflanzen.
Das Alpenglöckchen blüht teilweise
schon unter der Schneedecke und oft sieht man die zarten Pflänzchen
in Gruppen, als ob sie auf dem Schnee wachsen. Der Entwicklungszeitraum
für die Alpenpflanzen ist relativ kurz, fast alle Pflanzen blühen
von Juni bis August, im September setzen oft schon wieder Schneefälle
ein. Frühling und Herbst spielen sich in den alpinen Hochlagen in
ganz kurzen Zeiträumen ab. Während des kurzen Bergsommers müssen
die Blütenpflanzen wachsen, blühen, Früchte ausreifen lassen
und ihre Samen verbreiten. Die Nächte in den Alpen können sehr
kalt werden. Daher sind die Alpenpflanzen sehr widerstandsfähig gegen
niedrige Temperaturen. Die Samen vieler Pflanzen sind frostbeständig.
Die sehr intensive Sonneneinstrahlung in den Höhenlagen ermöglicht eine Beschleunigung der Lebensvorgänge in den Alpenpflanzen. Das Wachsen, Blühen und Reifen findet schneller statt als bei den Blumen in den Ebenen. Der hohe Anteil an energiereichem UV-Licht fördert die Entstehung von Farbstoffen und beschleunigt Stoffwechselprozesse, die Blüten werden größer und farbenprächtiger. Die alpinen Kräuter duften intensiver und sind reicher an Nährstoffen. Dies erklärt auch das Phänomen, dass Milch von alpinem Weidevieh viel aromatischer schmeckt und einen höheren Gehalt an Vitaminen aufweist. Die meisten Alpenpflanzen
zeichnen sich durch ihren niedrigen Wuchs aus. Damit sind sie vor Witterungseinflüssen
gut geschützt. Auch eine dichte Behaarung – beispielsweise beim Edelweiß – schützt vor dem Austrocknen durch die Wirkung des intensiven Windes.
Andere Pflanzen schützen sich durch Polsterbildung, beispielsweise
die Gletscher-Nelke oder der Gletscher-Mannsschild.
Andere Arten sind wahre Meister im Speichern von Wasser. Die Hauswurz
legt in den fleischigen Geweben ihrer Blätter Wasservorräte an.
Ein weiteres Phänomen ist die Tatsache, dass viele Alpenpflanzen nur in bestimmten Höhenlagen vorkommen. Oft reichen schon 100 oder 200 Höhenmeter und es findet ein totaler Wechsel der Lebensgemeinschaften statt. Es scheint, als ob die Alpenpflanzen in „Etagenwohnungen“ leben. Dieses Phänomen lässt sich wohl am besten durch die hervorragende Anpassung der Pflanzen an die alpinen Lebensbedingungen erklären. Aufgrund des Phänomens kann man die Höhenlagen in verschiedene Zonen einteilen. Die Angabe der Höhenmeter ist nur eine grobe Orientierung, sie variiert von Lebensraum zu Lebensraum beträchtlich. Die Hügelstufe reicht
bis an die Grenzen des Weinbaus. Die Wiesen werden von Storchschnabel und
Glockenblumen bevölkert. In den Mischwäldern finden sich beispielsweise
die Große Sterndolde und an feuchten,
schattigen Stellen die Bach-Nelkenwurz.
Bergstufe – bis 1600 Meter
Die Bergstufe ist von Buchen- und Fichtenwäldern geprägt. Bei gerodeten Flächen finden sich üppige Wiesen und Matten. Auf kalkhaltigen Böden entstehen die Bergfettwiesen, die regelmäßig gedüngt und gemäht werden. Dort entfalten sich viele Pflanzen auf den Wiesen, die dem Weidevieh als Nahrung dienen. Als typische Blumen der Bergstufe wären zu nennen: Akelei, Berg-Flockenblume, Trollblume, Türkenbund-Lilie.
Subalpine Stufe – bis 2200 Meter
In der subalpinen Stufe lichten sich bereits die Wälder. Der Laub- und Mischwald weicht den Nadelwäldern. In den Zentralalpen finden sich Lärchen- oder Arvenwälder, in den äußeren Gebirgen trifft man in dieser Zone eher Fichtenwälder an. Auf den ausgedehnten Hochstaudenfluren bildet sich eine üppige und farbenprächtige Flora, beispielsweise mit Alpen-Klee oder mit verschiedenen Enzian-Arten. Hier kommen auch Orchideen ausgiebig vor. Voraussetzung ist eine ausreichende Feuchtigkeit und ein lockerer, mineralstoffreicher Boden. Am Rande von den Quellen, dort wo die kalten Bäche entspringen, entwickeln sich Biotope, die auch von Amphibien bevölkert werden. An kalkhaltigen und felsigen Steilhängen findet man verschiedene Anemonen-Arten, beispielsweise die Alpen-Anemone.
Alpine Stufe – bis 2800 Meter
Die alpine Stufe beginnt jenseits der Baumgrenze. Der Sommer in der alpinen Stufe ist extrem kurz, die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht betragen oft bis zu 50 °C. Trotzdem haben sich die Pflanzen der alpinen Stufe gut angepasst, beispielsweise das Alpenglöckchen, die Alpenrose oder das Alpen-Leinkraut. An günstigen Stellen in Mulden und Dolinen wachsen auch die Pflanzen der subalpinen Stufe. Die hochalpinen Rasen werden auch als „Urwiesen“ bezeichnet, da sie auf natürliche Art und Weise entstanden sind. In höheren Lagen werden die Rasen und Polster der Urwiesen immer spärlicher und weichen allmählich den Schutthalden. In den feinen Ritzen und Spalten der Schutthalden sammelt sich oft Humus, was speziellen Pflanzen wiederum einen neuen Lebensraum ermöglicht. Schneestufe – bis 4000 Meter In der Schneestufe dauert
der Sommer nur wenige Wochen. Felsschutt und Felswände bestimmen die
Landschaft. Pflanzengruppen treten nur noch vereinzelt auf. In diesen Höhen
erreicht der Wind oft Orkanstärke, was zu einer zusätzlichen
Austrocknung führt. Es gibt zwar sehr viele Niederschläge, diese
sind aber oft sehr ungleichmäßig verteilt. In diesem extremen
Klima gedeihen die Pflanzen nur, wenn sie sich mit dem Schnee verbünden.
Der Schnee schützt die Pflanzen vor den extrem kalten Temperaturen und verhindert
das Zufrieren des Bodens. Durch eine dünne Schneedecke kann Licht
dringen, so dass die Pflanzen bereits unter dem Schnee Blüten ausbilden.
Insektenbestäubung kommt eher selten vor, die Pflanzen bedienen sich
dem Wind, um sich gegenseitig zu befruchten. Viele Pflanzen vermehren sich
auch nicht sexuell, sondern durch das Legen von Ausläufern. In der
Schneestufe wachsen noch Pflanzen wie die geschützte und relativ seltene
Alpen-Aster, die Gletscher-Nelke oder der Gletscher-Hahnenfuß.
Letztere kommt noch in Höhenlagen bis zu 4000 Metern vor.
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