Schutz der Orchideen

Jede Orchidee hat einen ganz besonderen Standort-Anspruch. Beim Frauenschuh vergehen vom Samen bis zur Blüte bis zu 15 Jahre. Der jahrelange Aufbau einer komplexen Blüte ist für die Pflanze eine Herausforderung, die nur gelingt, wenn die Umgebungsbedingungen stimmen. Die Mehrzahl der Orchideen benötigen basische oder neutrale Böden, sie gedeihen gerne auf Kalk, und sie lieben frischen Schutt aus Bächen, die über kalkhaltiges Gestein fließen. Zu starken Bewuchs mögen sie nicht, weil sie sich gegen Konkurrenz nicht so gut durchsetzen können. Manche Orchideen wie die Korallenwurz, das Kleine Zweiblatt oder die Zwergorchis reagieren äußerst empfindlich auf Dung, der den pH-Wert im Boden senkt und durch Nährstoffeintrag den Bewuchs erhöht. Da reicht es schon, wenn oberhalb eines Fichtenwaldes mit Korallenwurzen eine Beweidung stattfindet, damit die Orchideen ausgerottet werden. Einige Orchideen und viele Blütenpflanzen profitieren auch von der Beweidung. Insgesamt führt eine intensive landwirtschaftliche Nutzung aber zu einer Verringerung der Artenvielfalt bei den Orchideen.

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An diesem Standort der Zwergorchis dürfen die Kühe bis auf
das Grat. Die Orchidee wird dort kurz oder lang aussterben.

Eine Rolle spielen auch die durch das Vieh auftretenden Trittschäden an der Grasnarbe von Steilhängen. Es bilden sich tiefe Furchen oder Löcher, wodurch die Bodenerosion beschleunigt wird. Schafe sind ebenfalls problematisch, sie fressen besonders gerne Wildpflanzen. Die Rhizome mancher Orchideen reagieren extrem empfindlich auf Tritte und die damit verbundene Bodenverdichtung. Natürlich ist es kostengünstiger, eine Weide von Vieh abfressen und "pflegen" zu lassen, vor allem wenn man mit der Mutterviehhaltung auch noch Geld verdient. Doch ökologisch nachhaltiger und natürlich auch kostenintensiver ist die alte Form der Pflege durch Mähen. Einzelne Wanderer haben wohl kaum Auswirkungen, solange sie nicht in Massen auftreten. Entsprechende Studien haben bisher keinen Beweis erbracht, dass die Trittschäden durch Menschen von wesentlicher Bedeutung sind. Solange Fahrradfahrer auf ihren Wegen bleiben, dürfte das ebenfalls kein Problem darstellen. Problematischer dagegen ist der Skibetrieb, der den Boden ebenfalls nachhaltig verändert.

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Orchideenwiese am Ibergeregg ohne Beweidung.

Orchideen wie die Fliegenragwurz sind auf Fremdbestäubung angewiesen. Werden die Insekten durch Insektizide dezimiert, findet trotz Blüte keine Bestäubung statt, und die Orchidee kann sich nicht vermehren. Die Orchideen in den Wäldern und Wiesen der tieferen Lagen finden ihre ursprünglichen Standorte auf trockenen Magerwiesen und in feuchten, lichten Wäldern nur noch selten. Stattdessen besiedeln sie heute Sekundär-Standorte, die vom Menschen geschaffen wurden. Dazu gehören zum Beispiel Waldwege und Waldstraßen, die den Orchideen Lichtschneisen bieten. Straßen- oder Radwegböschungen gelten als Trockenstandorte, weil das Wasser dort schneller abfließt. Im Taubergießen am Oberrhein kommen beispielsweise die Ragwurze an solchen Standorten auf mehreren Kilometern Länge vor.

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Sekundär-Standort der Breitblättrigen Stendelwurz:
Die Orchidee am Wegrand profitiert von der Lichtschneise.

Früher gab es in den Alpen den Brauch, dass Bergwanderer ihrer Frau oder Geliebten einen Strauß mit wildblühenden Pflanzen mitbrachten. Gerne wurden auch Orchideen in Sträußen verkauft oder zur häuslichen Zierde gesammelt. Heute ist das Pflücken der Orchideen verboten! Leider halten sich nicht alle daran. Der Autor hat es selbst feststellen müssen, nachdem alle Pflanzen des seltenen Dingels an einem Standort im Schweizer Jura am Tag nach der Blüte plötzlich abgeschnitten waren. Das Setzen von wildwachsenden Orchideen in den eigenen Garten ist nicht ratsam, da dort die notwendigen Bodenpilze fehlen und die Orchidee nicht gedeiht.

Bei den Orchideenfreunden gibt es eine Kontroverse, ob man die Standorte von seltenen Wildpflanzen geheim halten soll oder ob sie publiziert werden. Der Autor vertritt aufgrund seiner Erfahrungen die Ansicht, dass die Standorte bekannt gemacht und die bekannten Pflanzen gleichzeitig unter Schutz und Aufsicht gestellt werden. Die Gefahren durch zu intensive Beweidung, Unachtsamkeit und Intensivtourismus sind bei weitem größer als durch Menschen, die die Orchideen aufsuchen, bestaunen, beobachten oder fotografieren wollen.

Die Zerstörung der Natur ist so weit fortgeschritten, dass die verbleibenden Refugien nur überleben können, wenn der Mensch sie aktiv schützt und pflegt. Allerdings ist das ein Kampf gegen Windmühlen, solange sich der Schutz nur auf abgegrenzte Naturschutzgebiete bezieht. Das ökologische System kann nur funktionieren, wenn die Schutzgebiete untereinander verbunden sind. Die Lösung liegt wohl darin, jede Nutzung der Natur nur in "sanfter" Form durchzuführen. Wenn dies gelingt, können wildlebende Tiere und Pflanzen sogar davon profitieren. Es geht nicht um das Absperren der Natur - dies würde uns noch mehr von ihr entzweien - sondern es geht darum, wieder ein Bewusstsein für die Einmaligkeit des Natur-Erlebnisses zu schaffen. Dafür ist Bildung und Öffentlichkeitsarbeit notwendig.

Zum Schutz der Orchideen sind konkrete Maßnahmen unbedingt erforderlich. Ein Bewirtschaftungsverbot in sensiblen Zonen ist unumgänglich. Dazu benötigt es exakte Standortbestimmungen, die Festlegung einer weitreichenden Schutzzone und die Umsetzung durch die Gemeinde. Dies kann vielerorts zu Konflikten führen, daher ist eine intensive Aufklärungsarbeit unumgänglich. Der Naturschutz kostet Geld, das staatlich garantiert werden muss. Die Erhebungen in den Habitaten sind nach wissenschaftlichen Standards zu führen, damit nicht nur einfach Aktionismus betrieben und Geld verpulvert wird.

Die Pflege der Standorte erfolgt durch die Gemeinden selbst oder durch gemeinnützige Organisationen wie Naturschutz-Vereine, Öko-Büros oder freiwillige Mitarbeiter. In der Schweiz ist es zum Beispiel die Arbeitsgruppe Einheimische Orchideen (www.ageo.ch), die sich um die Erhaltung der Orchideen kümmert. In Deutschland gibt es vergleichbare Organisationen, beispielsweise der Arbeitskreis Heimische Orchideen Bayern e.V. (www.aho-bayern.de) oder der Arbeitskreis Heimische Orchideen Baden-Württemberg (www.orchids.de). Ein Verzeichnis aller europäischen Arbeitskreise Heimischer Orchideen AHO findet man unter www.europorchid.de/aho/. Der Autor empfiehlt eine Unterstützung dieser Organisationen durch Spenden oder noch besser durch eigene Mitarbeit. Jede Gemeinde mit Orchideen sollte eine Bestandserhebung durch diese Arbeitsgemeinschaften vornehmen lassen.

Orchideen-Standorte müssen gepflegt werden. Dazu gehören zum Beispiel das Auslichten und das Mähen zum richtigen Zeitpunkt. Werden die Wegränder an Waldstraßen für Forstarbeiten zu früh gemäht, dann werden die Pflanzen zerstört. Das Mähen darf erst nach der Blütezeit erfolgen. Ein zu tiefes Mähen kann den Bodenuntergrund nachhaltig beschädigen. Durch kontrollierte Zucht in natürlichen Lebensräumen wird die Vermehrung der Orchideen begünstigt. Bei der in-situ-Vermehrung werden Samen auf potenziellen Böden eingebracht. Gleichzeitig findet eine Erprobung statt, welche Bedingungen am geeignetsten sind. Bei solchen Stationen können Orchideen in großer Vielfalt gedeihen und sich ungestört unter Aufsicht der Betreiber und der Besucher vermehren. Beispiele sind das Liliental bei Ihringen am Kaiserstuhl oder der Hof Waldenstein im Jura.

Copyright: Thomas Seilnacht