Merkmale
Im ersten Jahr bildet sich am Boden eine Blattrosette, aus der im zweiten Jahr ein Stängel wächst. Die schmal elliptischen bis verkehrt lanzettlichen Blätter am Stängel sind kurz gestielt. Sie können bei einer Breite von maximal fünf Zentimeter über 20 Zentimeter lang werden. Der Blattrand ist glatt oder leicht gezähnt. Der Bereich um den Mittelnerv erscheint rötlich. Die Blüten bilden einen aufrecht stehenden, ährigen Blütenstand. Sie haben einen Durchmesser von drei bis acht Zentimeter. Die Farbe der spitzen Kelchblätter variiert von Gelb über Grün bis zu einem Rot. Die vier gelben Kronblätter sind zwei bis drei Zentimeter lang. Die Kelchzipfel berühren sich. Die Narben überragen die Staubblätter nicht. In der Blütenröhre verborgen ist der unterständige Fruchtknoten mit seinen vier Fächern. Aus diesem wächst der Griffel, der wie die Staubblätter mehrere Zentimeter lang ist. Er endet in vier Narben, die keulenartig verwachsen sind. Beim Verwelken verfärben sich die Kronblätter braunorange. Es entsteht eine Kapselfrucht mit zahlreichen Samen pro Fruchtfach.
Besonderheiten
Die Blüten öffnen erst in den Abendstunden. Dies geschieht oft in wenigen Minuten, so dass man den Vorgang gut beobachten kann. Die an einer Naht verwachsenen Kelchblätter reißen unter Knistern auf, dann entfalten sich die Kronblätter. Der Sinn besteht darin, dass der süßlich-stinkende Duft in der Nacht zum Anlocken der Nachtfalter als Bestäuber freigesetzt wird. Am darauf folgenden Morgen spreizen sich die vier Narben, am späten Nachmittag sind die Blüten dann meistens verblüht. Während des Tages kommen auch Honigbienen, Hummeln und Schmetterlinge zu Besuch. Sie erhalten Nektar und reichlich Pollen. Die ungewöhnlich großen, dreieckigen Pollenkörner weisen einen Durchmesser von 0,15 Millimeter auf. Die klebrigen Fäden der Pollen bleiben meist an den Honigbienen haften, weshalb Imker nur wenig Freude an der Pflanze haben. Forscher haben herausgefunden, dass eine Blüte auf das Brummen der Insekten reagiert und dann mehr Nektar produziert. Die gekrümmten Kapselzähnchen der Frucht bleiben an Tierfellen hängen. Die Samen werden auch über den Wind verbreitet.
Verwendung
Die etwas bitter schmeckenden Wurzeln dienten früher als Gemüseersatz. Beim Kochen verfärben sie sich rötlich. In Berlin wurde die Pflanze ab 1945 von den Trümmerfrauen zwischen den Trümmern gesucht. Mit Essig und Öl angemacht nannten sie die Speise „Schinkensalat“. Aus den fetthaltigen Samen wird heute das Nachtkerzenöl gewonnen. Es wird in medizinisch-kosmetischen Produkten für trockene Haut und zur Behandlung der Neurodermitis eingesetzt. Der wichtigste Inhaltsstoff ist die gamma-Linolensäure (GLA). Diese dreifach ungesättigte Omega-6-Fettsäure wirkt entzündungshemmend. Alle Nachtkerzen-Arten sind beliebte Zierpflanzen in Bauerngärten.
Verbreitung und Gefährdung
Die Pflanze wurde wie auch die Kleinblütige Nachtkerze ursprünglich im 17. Jahrhundert aus Nordamerika eingebürgert und hat sich in großen Teilen Europas durch Verwilderung aus den Gärten verbreitet, der Bestand ist nicht gefährdet.
Vergleich mit anderen Arten
Die Kleinblütige Nachtkerze Oenothera parviflora L. wächst eher auf sandigen Böden und am Meeresstrand. Ihre Blätter sind schmaler. Der Blütenstand oben steht nickend. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal sind die kleineren Blüten, die Kronblätter werden nur 0,5 bis 1,5 Zentimeter lang, sie sind kürzer oder nur wenig länger als die Staubblätter. Die ebenfalls verwilderte Rotkelchige Nachtkerze Oenothera glacioviana L. ist in Europa als neue Art aus einer Kreuzung von zwei Arten entstanden. Sie hat noch größere Blüten als die Gewöhnliche Nachtkerze, ihre Kelchblätter werden bis zu sechs Zentimeter lang. Die Stängel und Blütenstiele sind drüsig behaart. Stängel und Blütenstiele erscheinen dadurch rot getupft, sie sind auch rot überlaufen.
Fotos zur Gewöhnlichen Nachtkerze